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Die Zeit in Wien| .. in Buchenwald/Sömmerda| .. in Liechtenstein| Seine Stimme

Die Geschichte von Curt Herzstark und seiner Curta


Hier Teil I bis III als PDF-Datei zum Ausdrucken:
Mit Bildern (690k) oder ohne Bilder (73k)
(Blattgröße DIN A4, mit Blattnummerierung usw.).


Teil I: Die Zeit in Wien (1902 - 1943)



 1867

Geburt des Vaters

Jede Geschichte hat eine Vorgeschichte. So beginnen wir im Jahre 1867 in Wien mit der Geburt von Samuel Jacob Herzstark, dem Vater von Curt Herzstark. Ausbildung: Volksschule, fünf Jahre Gymnasium, Abbruch des Studiums wegen Geldmangel, kaufmännische Lehre. Jetzt lernt er zum ersten Mal Vierspezies-Rechenmaschinen kennen. Die kommen entweder aus Glashütte in Deutschland oder von Thomas aus Paris. Jakob erkennt schnell: Die kann man noch verbessern. Der Gedanke an eine eigene Rechenmaschinenfabrik ist geboren.
Samuel Herzstark

 1902
Geburt von Curt Herzstark

Die Mutter Marie war Christin und wechselte von der katholischen zur evangelischen Konfession. Samuel Herzstark trat aus dem Judentum aus. Sie heirateten nur standesamtlich. Am 26. Januar 1902 wird Curt Herzstark geboren.

 

 1905
Die erste österreichische Rechenmaschinenfabrik

Der Bankier Gustav Berger glaubte an die Idee und finanziert sie. Im Jahre 1905 wird das »Rechenmaschinenwerk AUSTRIA, Herzstark & Co.« gegründet, die erste österreichische Rechenmaschinenfabrik. In Glashütte lernt Herzstark den jungen Uhrmachermeister Johannes Hayard kennen und nimmt ihn mit nach Wien. Als Uhrmacher sorgt er dort von Anfang an für die notwendige Präzision.

Briefkopf

 1908
Curt wird eingeschult

Curt ist sehr musikalisch. Fritz Kreisler, der Komponist, Virtuose und Vetter von Samuel Herzstark schlägt eine musikalische Ausbildung vor. Aber der Vater setzt sich durch und die technische Ausbildung nimmt seinen Lauf.

 

 1910
Eine Rechenmaschine mit Tastenfeld

Es gelingt auf Basis der Thomas-Maschine, die ersten Maschinen mit Tastenfeld und elektrischem Antrieb herzustellen. Nur die beiden Zahlen eintippen, und die Maschine multipliziert oder dividiert selbstständig! Curt wird auf Messen als Wunderknabe vorgeführt: Er verblüfft die Besucher – indem er große Zahlen miteinander multipliziert. Wie er später zugibt, hätte er die gleichen Rechnungen ohne Maschine damals nicht durchführen können. Nebenbei erhält er auf diesen Messen praktischen Verkaufsunterricht. Das Foto zeigt ihn im Alter von acht Jahren auf der internationalen Büromaschinenausstellung im so genannten Gartenbauheim in Wien.
Herzstark 8 Jahre

 1912
Eintritt ins Realgymnasium

Curt wechselt ins Realgymnasium. Hier wird Englisch, Latein und kaum Technik gelehrt. Der Vater hält dies für Verschwendung, und so wird diese Episode nur vier Jahre dauern.

 

 1914
Beginn des 1. Weltkriegs

Zu Beginn des 1. Weltkriegs arbeiten ca. 100 Mitarbeiter (darunter 50 gut ausgebildete Feinmechaniker) in der Firma. Viele der jungen Mitarbeiter werden eingezogen. Die Rechenmaschinenproduktion wird eingestellt, und es werden nun Tag und Nacht Schrapnellzünder gebaut.

 

 1916
Lehre im elterlichen Betrieb

Im Frühjahr wird Samuel Herzstark – als fast 50-Jähriger – zum Militärdienst eingezogen und erst zum Kriegsende entlassen. Die Mutter führt den Betrieb weiter, unterstützt von Meister Hayard. Curt beginnt im elterlichen Betrieb eine Lehre als Werkzeug- und Feinmechaniker. Diese Lehre wird sich später beim Konstruieren als großer Vorteil erweisen: Er kann Probleme auch aus dem Blickwinkel der Praxis und der Fertigung beurteilen und bewerten.

 

 1918
Eintritt in die höhere Staatsgewerbeschule

Nach der Praxis soll nun auch die Theorie ein besseres Fundament erhalten: Curt tritt in die höhere Staatsgewerbeschule (eine Art Ingenieurschule) ein.

 

 1922
Rückkehr in den Betrieb

1922 schließt er die Schule mit der Matura (Abitur) ab und kehrt in den Betrieb zurück. Dort sieht es schlecht aus: Die Maschinen sind durch die Herstellung von Zündern in Tag- und Nachtschicht herabgewirtschaftet. Die Inflation vernichtet das Firmenkapital. Ein großer Teil der Belegschaft fehlt: Nach dem Ende der Monarchie gingen viele zurück in die Tschechoslowakei oder nach Ungarn. Dem Vater gelingt es mit viel Optimismus, den Betrieb wieder aufzubauen. In Amerika beschafft er einige hundert gebrauchte Rechenmaschinen, und aus eigenen Lagerbeständen (noch aus dem Jahre 1914) beginnt man Herzstark-Maschinen zu montieren.

Herzstark Maschine

 1922
Volontärzeit in Deutschland

Um die Ausbildung zu vervollkommnen, volontiert Curt in Deutschland bei den Astrawerken in Chemnitz/Sachsen. Dadurch erhält man den Generalvertrieb der Astramaschinen für Österreich und die Nachfolgestaaten. Nach einem halben Jahr hat Herzstark genug gesehen und wechselt zu den Wandererwerken im gleichen Ort. Die bauen Motorräder, Fräsmaschinen, aber auch eine Addiermaschine. Herzstark volontiert aber nicht – wie man vermuten würde – bei den Addiermaschinen. Nein: bei den Fräsmaschinen. Er lernt viel über Werkzeuge, Teilkopfarbeit usw., was ihn auf dem Gebiet der Fertigungstechnik immer reifer macht.

 

 1924
Der Experte

Curt ist nun ein echter Experte auf seinem Gebiet. Infiziert vom Vater träumt er von einer schönen Fabrik: Nicht groß, aber Qualitätsarbeit soll sie liefern. Diesen Qualitätsbegriff hat er – durch seinen Vater, aber auch durch Meister Hayard – verinnerlicht. Nun, da er im Technischen nahezu perfekt ist, schickt ihn sein Vater in den Verkauf: »Es ist auch wichtig, die Wünsche der Kunden zu kennen!« Sein Vater übergibt ihm die Verkaufsorganisation in der Tschechoslowakei und Ungarn, um diese zu reorganisieren. Auch hier ist er tüchtig und wechselt im Zwei-Wochen-Turnus zwischen Innen- und Außendienst. Die Firma ist in dieser Zeit sehr erfolgreich. Denn die Kunden erkennen schnell: Die Herzstarks sind Mechaniker, die helfen auch im Störungsfall schnell. Viele Konkurrenten in dieser Zeit sind nur Büromaschinenhändler.

 

 1928
Das erste Patent

Man handelt mit Astra-Buchungsmaschinen, die können rechnen und die Zwischenergebnisse in Spalten drucken. Die Summen dieser Spalten müssen dann aber mühsam durch Eingabe der Zwischenergebnisse ermittelt werden. Den Kunden schwebt als Ideal eine Maschine vor, die in einem Arbeitsgang automatisch Waagerecht- und Senkrechtkolonnen addieren kann. Curt lässt diese Aufgabe nicht mehr los: Nach wochenlangem Denken, Skizzieren und Konstruieren hat er die prinzipielle Lösung. Zusammen mit dem Vater und den anderen Technikern wird unter seiner Leitung eine funktionsreife Lösung erarbeitet: ein rückwärtiger Anbau an die Astra-Maschine. Dieser Herzstark-Multisummator (auch Multimator genannt) ist die erste Erfindung von Curt Herzstark! Die Maschine wird auf der internationalen Büromaschinenausstellung in Berlin der Weltöffentlichkeit vorgestellt und ist eine Sensation. Der Vater meldet (als Fabrikchef auf seinen Namen) 8 Patente an. Bis 1936 hat Curt Herzstark an die 2000 Herzstark-Maschinen verkauft. Darunter auch 200 bis 300 vom Typ Multimator. In Zeitstudien ermittelt man: Die Multimatormaschine ersetzt drei bis fünf Arbeiter. Sie kostet allerdings auch soviel wie ein Auto.

Astra mit Multimator

 1930
Ein Kino im Prater!

Der Vater beginnt sich für den Film zu interessieren! Kurz vor dem großen Bankenkrach in Amerika hat er größere Dollarbeträge noch rechtzeitig getauscht. Mit diesem Geld kauft er den Prater-Kristallpalast, und baut ihn komplett um. Für die Firma zeigt er kaum noch Interesse. Das Kino ist auch für Ernst (den jüngeren Bruder von Curt) gedacht, der mehr am Sport (Stadtmeister im Tontaubenschießen) als an der Rechenmaschinenfabrik interessiert ist.
Praterkino

 1934
Erste Überlegungen zur Curta

Schon in den Jahren 1926 und 1927 hört Herzstark immer wieder den Wunsch nach einer kleinen Rechenmaschine. Herzstark: »Jeder Techniker, der auf sich hält, trägt einen Rechenschieber sichtbar mit sich herum, man soll schließlich erkennen, dass er Akademiker ist.« Gerne hätten diese Techniker, Architekten, Außendienstleute eine kleine tragbare Rechenmaschine gehabt. Mit dem Rechenschieber kann man nicht addieren, und beim Multiplizieren ist er zu ungenau. Mehr als drei Stellen kann man nicht ablesen, und der Fiskus gibt sich nun mal mit »ungefähr 217« nicht zufrieden. Die ganze Welt schreit förmlich nach einer kleinen Rechenmaschine, und in der ganzen Welt suchen die Rechenmaschinenhersteller nach einer Lösung. Aber sie finden keine. Curt Herzstark weiß warum: »Sie versuchen die bestehenden Maschinen einfach zu verkleinern. Da gehe ich zum Uhrmacher und lasse eine winzige Rechenmaschine bauen; technisch kein Problem. Aber die muss ich dann mit einer Nadel bedienen. So ein Unfug!«

 

 1935
Das neue Konzept

Curt Herzstark hat einen völlig neuen, modernen, nahezu genialen Ansatz: Er vergisst alle Technik und die Realisierbarkeit. Nur der Wunschtraum – wie eine ideale Maschine aussehen muss – interessiert ihn. Wenn man sie in die Tasche stecken will, muss sie rund sein, ohne vorstehende Ecken und Kanten. Damit dieser kleine Zylinder nicht aus der Hand rutscht, hat er oben einen Wulst, den könnte man nutzen zum Einstellen. Die Anzeige und die Kurbel muss dann oben sein. Seitlich am Zylinder wäre dann Platz für die Einstellelemente. Auf Basis dieses Wunschtraums skizzierte Herzstark die neue Maschine. Alles steht fest: Das Aussehen, die Größe, und – da er sich bereits mit Aluminium, Magnesium und neuen Leichtmetall-Legierungen befasst – sogar das Gewicht. Aber wie sie funktionieren soll, weiß er nicht.
Curta Skizze

 1936
Eine Rechenmaschine ohne Subtraktion und Division

Ein Jahr später steht das Konzept: eine Maschine mit einer zentralen Staffelwalze. Nur Subtrahieren und Dividieren kann sie nicht! Zum Subtrahieren kann man nicht einfach rückwärts drehen, dazu hätte ja der Zehnerübertrag auch rückwärts funktionieren müssen.

 

 1937
Der Tod des Vaters

Am 24. Oktober 1937 stirbt Samuel Jacob Herzstark. Die Eheleute hatten sich in einem Testament von 1913 gegenseitig als Erben eingesetzt, um Erbstreitigkeiten zu vermeiden. Die Mutter machte einen anderen Vorschlag: »Curt, du bekommst die Firma und dein Bruder das Kino.« Alle sind einverstanden – aber es kommt ganz anders.

 

 1938
Hitlers Truppen marschieren ein

Hitlers Truppen marschieren am 10. März 1938 in Österreich ein. Curt Herzstark erlebt dies als schlimme Zeit. Der Mob zieht »Jude verrecke« schreiend durch die Straßen. Nun ist es von Vorteil, dass die Firma noch nicht überschrieben ist. Als Halbjude hätte Curt wohl alles verloren. Durch einen befreundeten Rechtsanwalt erhält die Mutter sofort die Bestätigung, dass sie die Erbin und der Betrieb somit arisch ist. Curt ist offiziell nur Angestellter. Die Geschäfte laufen schlecht. Von Astra kommen keine Maschinen mehr für den Multimator-Umbau. Man lebt von Restbeständen und Reparaturen. Eines Tages im Mai hält ein großes Auto vor dem Betrieb und fünf Personen steigen aus. Wie sich später herausstellt: zwei Wehrmachtsangehörige, die anderen sind Fachleute für Feinmechanik. Man sucht einen Betrieb, der in der Lage ist, hochpräzise Lehren für das Heer zu fertigen. Den Betrieb von Herzstark hält man für geeignet. Natürlich macht Herzstark die Sachen anders (und besser!) als auf den Zeichnungen, die man liefert. Sofort hat er auch Patente auf diesem Gebiet und arbeitet mit österreichischen und deutschen Wissenschaftlern und Universitäten zusammen. Der Betrieb erhält die Dringlichkeitsstufe I und damit leichteren Zugang zu Maschinen und Material.

Einmarsch

 1938
Das Konzept der Curta ist fertig.

Curt führt nun die Geschäfte. Er ist in seinem Coupe auf der Rückfahrt von einer Geschäftsreise in den Schwarzwald. Plötzlich hat er einen Geistesblitz: »Man kann doch ein Subtraktionsresultat erzielen, indem man eine Komplementärzahl hinzugibt. Also wenn ich eine zweite Reihe Staffelzähne ergänzen würde: für die Eins die Neun, die Zwei die Acht, die Drei .... ?« Zwei Patente werden angemeldet (siehe Rubrik Technik). Aber die Patente sind noch keine fertigen, produktionsreifen Konstruktionen. Ein Prototyp mit nur drei Stufen wird gebaut. Noch ziemlich groß und grob, aber der Beweis des Funktionsprinzips ist erbracht. Das Konzept der Curta steht! Weitere Entwicklungen werden zurückgestellt: Erstens darf man keine Rechenmaschinen mehr bauen, zweitens ist Herzstark klar, dass diese Maschine irgendwann die Basis für eine neue Existenz sein kann.
Staffelwalze


 
   ©2003 by Jan Meyer